Offene Beziehung: Funktioniert das?
Es klingt wie ein Märchen aus 1001 Nacht, und doch versuchen sich immer mehr Menschen am modernen Harem-Prinzip: eine(n) feste(n) Partnerin/Partner und trotzdem Sex mit wechselnden GespielInnen haben.
Die Gefahr, dass die feste Beziehung dem emotionalen Druck von außen nicht standhält, ist allerdings sehr hoch. Das Thema „offene Beziehung“ wird sehr kontrovers diskutiert. Experten räumen dieser neuen Form der Partnerschaft – unter bestimmten Bedingungen – aber auch beziehungstherapeutische Wirkung ein.
Sugaring für die Beziehung?
Sie verweisen dabei auf ein allgemeines Phänomen: Wenn sich die Verliebtheit gelegt hat, verwandeln sich die meisten Paarbeziehungen fast gesetzmäßig in ein Alltagsverhalten, das immer weniger Raum für Spontaneität, Kreativität und Entdeckungsfreude lässt. Die Defizite im emotionalen Bereich sind als erstes beim Sex zu spüren. Kaum ein Paar schafft es, die körperliche Begierde über Jahre frisch zu halten. Die Rituale im Bett sind bald ebenso eingefahren wie die Arbeitsteilung im Haushalt oder die individuellen Zeitfenster der Badbenutzung.
Aber gerade Sex spendet Lebensfreude per excellence – und jedes Nachlassen wird als deutlicher Verlust empfunden. Neue Techniken oder romantische Anreize helfen da nur bedingt: der Partner bleibt letztendlich der gleiche und wird auch durch ein Rollenspiel nicht wirklich zum temperamentvollen Südländer oder gar wieder zum einstigen Märchenprinz.
Den wahren Kick liefert nur ein Liebhaber, der noch Geheimnisse birgt und den es lohnt, intensiv zu erkunden. Dieser Versuchung nachzugeben bedeutet jedoch, die bisherige Beziehung in Frage zu stellen. Denn nur 12 % der deutschen Frauen und 15 % der deutschen Männer sind bereit, das Fremdgehen ihres Partners zu entschuldigen.
Die offene Beziehung dagegen ermöglicht beiden Partnern, ihren sexuellen Wünschen auch außerhalb der Partnerschaft nachzugehen, ohne dass der Status Quo angetastet wird.
Fremdgehen, so die Experten, sei wie Waxing für die Betrogenen: schmerzhaft und mit vielen Nachwirkungen versehen. Die offene Beziehung dagegen ähnele mehr dem Sugaring: sie wäre deutlich sanfter und emotional verträglich. Beide Partner fühlten sich in ihrer Haut wohl.
Soziale Trends sprechen für die offene Beziehung
Der Wandel des Beziehungslebens ist für jeden modernen Menschen spürbar. Kaum eine Ehe funktioniert noch wie vor 50 Jahren, als die Rollen klar verteilt waren. Außerdem ist die Partnerschaft als Form des Zusammenlebens in den Vordergrund getreten. Seit dem Beginn des neuen Millenniums ist die Anzahl der Eheschließungen in Deutschland rückläufig; dafür gibt es ungleich mehr Partnerschaften auf Zeit. „Lebensabschnittsgefährte“ ist zu einem akzeptierten Begriff geworden. Stellt die offene Beziehung möglicherweise den nächsten Schritt auf dem Weg zu neuen Partnerschaftsformen dar?
In jedem Fall spiegeln diese Modelle nur einen Zustand wider, der ohnehin allgemeine Praxis ist. 42 % aller Deutschen haben ihren Partner schon einmal oder mehrmals betrogen. Das ist jedenfalls die oft zitierte Zahl aus einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem Jahr 2009. Im Übrigen tragen Männer und Frauen gleichermaßen dazu bei. Damit aber sind die Deutschen nicht einmal besonders unartig. Sie liegen einfach nur im europäischen Durchschnitt. Weltspitzenreiter im Fremdgehen sollen die thailändischen Männer sein – sie bringen es auf 56 %. Aber in Thailand leben allein schon 17 % der Frauen als so genannte „Mia Noi“ (klassische Zweitfrau mit eigenem Haushalt).
Überall auf der Welt scheint der Wunsch nach harmonischer Partnerschaft bei gleichzeitiger sexueller Freizügigkeit stark ausgeprägt zu sein. In Deutschland beteuern 80 % der Sünder, dass sie ihren festen Partner lieben und das außereheliche Verhältnis nur eine Begleiterscheinung sei.
Die offene Beziehung bietet hier wohl eine ersehnte Alternative.
Die Grundlagen für eine offene Beziehung
Was eine offene Beziehung so schwierig macht, ist die Fülle von Gefühlen, die mit dem Partner verbunden sind. Ist es möglich, dieses Geflecht so weit zu entwirren, dass die sexuellen Abenteuer des anderen nicht als emotionale Zurücksetzung empfunden werden?
Ja, sagen die Experten, denn nach ihrer Ansicht gründen diese Gefühle auf einer längst überholten moralischen Auffassung: dem Besitzanspruch auf den Partner. Die übergroße Mehrheit von befragten Personen lehnt ein solches Denken ab – aber wenn es um den eigenen Partner geht, siegt nicht die Logik, sondern die Emotion.
Es braucht das vertrauensvolle Gespräch der Partner miteinander, um eine offene Beziehung ernsthaft in Betracht zu ziehen. Aber schon hier liegen die Voraussetzungen im Argen. Nur ein knappes Drittel der deutschen Paare spricht überhaupt offen über die jeweiligen sexuellen Wünsche. Darin sehen die Beziehungsexperten auch den Hauptgrund für das heimliche Ausweichen auf andere Partner. Um nur eine kleine Veränderung ihrer Situation zu erreichen, müssten die deutschen Paare lernen, über ihre Gefühle zu sprechen. Dann erst wäre es möglich, auch die offene Beziehung zu thematisieren.
Die wichtigsten Voraussetzungen, um sich an diese Partnerschaftsform zu wagen, sind
– beide Partner müssen es wollen
– die eigene Partnerschaft gilt klar als höchster Wert
– es ist möglich, sich auf bestimmte Verhaltensregeln zu einigen
Nicht jeder ist in der Lage, die emotionalen Folgen einer solchen Entscheidung genau abzuwägen. Es muss auch einen Punkt geben, an dem das Experiment abgebrochen werden kann.
Die Regeln für eine offene Beziehung
Jedes Paar, das eine offene Beziehung realisieren will, braucht einen Masterplan – denn was man sich gegenseitig an Freizügigkeit zugestehen will, darf nicht dem individuellen Selbstverständnis überlassen werden. Das führt automatisch zu Enttäuschung. Gleichzeitig wirkt die genaue Verabredung wie eine Sicherheitsgarantie für eigene Partnerschaft. Selbstverständlich können die Regeln auch mit der Zeit in gemeinsamer Übereinkunft erweitert werden. Dazu gehören in erster Linie folgende Fragen:
1. In welcher Form soll die offene Beziehung gestaltet werden?
Jeder Partner kann seine eigenen Wege gehen oder das Paar begibt sich gemeinsam auf Safari. Viele Menschen nutzen die Vorteile eines Swingerclubs. Man begibt sich gemeinsam dorthin und kehrt auch gemeinsam wieder nach Hause zurück. Ebenso können Dritte oder andere Paare in die eigenen vier Wände eingeladen werden.
2. Wie viel Zeit räumen sich beide Partner für Dritte ein?
Ein freier Abend (inkl. Nacht) in der Woche gilt als diskrete Form, wenn die Partner unabhängig voneinander auf Abenteuerfahrt gehen wollen. Mit der Kontinuität zieht auch Gelassenheit ein.
3. Wie viel wollen die Partner wissen?
Allzu intensiv sollten die Erfahrungsberichte nicht sein. Auch für eine offene Beziehung ist es wichtig, dass das Zusammenleben das Hauptthema bleibt.
4. Die eigene Beziehung nicht vernachlässigen!
Das Paar-Gefühl muss weiter dominieren. Selbst miteinander ausgehen, Aufmerksamkeiten austauschen und Rituale zelebrieren muss für beide bedeutend bleiben.
5. Eigene Symbole schützen
Die eigene Wohnung, gemeinsame Lieblingsrestaurants, Plätze der Liebeserinnerung – alles, was das Paar als seine eigenen Symbole betrachtet, sollte mit Dritten nicht geteilt werden.
6. Safer Sex? – nun erst recht!
Verhütung ist eigentlich selbstverständlich – die offene Beziehung ist geradezu darauf angewiesen, dass aus ihr keine Unannehmlichkeiten entspringen.
Die offene Beziehung ist kein Freibrief für Fremdgehen – sie verlangt im Gegenteil echte menschliche Größe. Fühlst Du Dich dem gewachsen?
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